Der Kopfstand (shirshasana) ist in der Praxis des Yoga weit verbreitet und wird auch als König der Asanas bezeichnet. Es werden ihm zahlreiche Wirkungen zugeschrieben. Am schlüssigsten lassen sich die physiologischen Wirkungen auf die allgemeine Entstauung durch die umgekehrte Haltung, die Mehrdurchblutung des Gesichts- / Kopfbereichs (NICHT: das Gehirn was konstant und gleichmäßig mit Blut versorgt wird), die Herausforderungen an die Körperstabilität und die Wirkungen auf den Gleichgewichtssinn zurückführen.
In den letzten Jahren ist immer wieder Kritik an der Yogapraxis entstanden. Sind die Übungen denn unter unseren heutigen Erkenntnissen denn wirklich so sinnvoll, bzw. müssen sie auch bedarfsgerechter adaptiert werden? Teilweise werden Yogaanfänger einfach mit dem Kopfstand konfrontiert, ohne ihre körperliche Konstitution und spezifische Vorschädigungen zu berücksichtigen.
Was sind nun aber die Schwierigkeiten in der Praxis des Kopfstand bzw. wo liegt auch das Gefährdungspotential? Das primäre Problem- und Risikofeld stellt die Halswirbelsäule (HWS) dar. Die HWS hat vergleichsweise kleine Wirbelkörper und weist eine hohe Beweglichkeit in alle drei räumliche Dimensionen auf. Häufig entstehen durch Haltungsdefizite und fehlende Beweglichkeit in den angrenzenden Körperbereichen des Brustkorbs und der Brustwirbelsäule eine Überstrecksituation in der HWS. Deswegen weisen die unteren Anteile der HWS eher eine fehlende Mobilität und die mittleren dafür kompensatorisch eine Überbeweglichkeit (Hypermobilität) auf. Wenn nun im Kopfstand ein Großteil des Körpergewichts auf dieser fragilen Konstruktion lagert, kann es durchaus kurzfristig oder langfristig zu Problemen führen. Solange die HWS im Kopfstand nicht gut verlängert und ausgerichtet ist, kommt es zu segmentalen Kompressionsymptomatiken, die im besten Fall zu „verspannter“ Muskulatur führen. Die umliegende Muskulatur will nun irgendwie die instabilen Bereiche sichern und wird dabei fest. Damit gehen oft Kopf- oder Nackenschmerzen einher, da die feste Muskulatur natürlich auch auf Arterien und Nerven Druck ausübt. Es kann weiterhin zu Kompressionssymptomatiken auf zervikalen peripheren Nervenbahen und auch auf die hinteren Facettengelenke der Halswirbelkörper kommen, die insb. wenn man den Kopfstand oft übt, zusätzliches Knochenmaterial (Osteophyten) anlagern können. Dies verstärkt oft die allgemeine Kompressionssymptomatik, bis hin zu Missempfindungen in den Armen…
Durch den spezifischen Druck auf das überstreckte sowieso schon instabile Wirbelsäulensegment wird natürlich die Instabilität oft noch verstärkt. Zudem trägt das oft schwungvolle Hingehen in das Asana zur Erhöhung des Verletzungsrisikos bei.
Durch mein Kenntnisse als Physiotherpeut & durch meine langjährige Yogalehrerfahrung rate ich dringend von einem allgemeinen Üben des Kopfstandes in der Yogaklasse ab. Da der Yogalehrer die Situation der HWS der Teilnehmer nicht einschätzen kann und viele Menschen Fehlhaltungen im oberen Rumpf mitbringen, überwiegt für mich das Risiko gegenüber dem Nutzen des Asanas.
Wenn man den Kopfstand trotzdem erlernen möchte, empfiehlt sich eine Yogaeinzelstunde mit einem funktionell anatomisch gut ausgebildeten Yogalehrer, der Fehlhaltungen erkennen und Korrekturen bzw. spezifische Vorbereitungen anbieten kann. Im besonderen ist darauf zu achten, viel Gewicht über die Ellbogen (aufgestützen Arme) zu übernehmen um so die Kompression zu verringern bzw. sogar ganz aufzuheben. Zudem empfiehlt sich zu schauen ob überhaupt schon genug Rumpfstabilität vorhanden ist, um in das Asana hineingehen zu können, bzw. darin genügend Ruhe und Ausrichtung finden zu können. Im besonderen ist hier die Stabilisation des Körperzentrums über die Bauchmuskulatur zu erwähnen. Diese kann auch gut über einfachere bzw. weniger gefährdende Übungen (z..B. Chatturanga Dandasana – Plankenstellung) vorbereitet werden.
Ohne stabile Beckenausrichtung kann der Aufrichteimpuls der Wirbelsäule als Ganzes nicht geschehen. Ein Hohlkreuz in der Lendenwirbelsäule führt automatisch auch zur Überstrecksituation in der HWS. D.h. sowohl die muskuläre Spannungssituation, genauso wie die segmentale Belastung werden ungünstig beeinflusst.
Eine Übung ist also nie grundsätzlich falsch sollte aber im im Nutzen; Risiko abgeschätzt werden und ggf. bedarfsgerecht adaptiert werden. Als ein Bsp. für ein gutes Hilfsmittel hat sich z.B. der FeetUp Trainer etabliert.
Mir ist es ein tiefes Anliegen, dass jeder Yogapraktizierende das tiefe Potential welches im Yoga steckt nutzen kann, aber auch Achtsamkeit & Verständnis den eigenen Körperstrukturen und -prinzipien entgegenbringt. Das gilt insb. für Yogalehrer die starken Einfluss auf die Gesundheit ihrer Teilnehmer und auch auf die Rezeption des Yogas als Ganzes haben.
Euer Daniel
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